Alles auf einen Blick:
- Die Aussetzung der Vollziehung verhindert die Vollstreckung eines angefochtenen Verwaltungsakts nach § 361 AO.
- Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit oder unbillige Härte sind die Voraussetzungen für die Gewährung.
- Der Antrag muss bei der Behörde gestellt werden; bei Ablehnung kann das Finanzgericht angerufen werden.
- Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent pro Monat entstehen, wenn der Rechtsbehelf endgültig erfolglos bleibt.
- Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, wenn die wirtschaftliche Lage gefährdet ist.
Aussetzung der Vollziehung Definition
Die Aussetzung der Vollziehung ist ein Rechtsschutzinstrument, das die Vollstreckung eines angefochtenen Verwaltungsakts verhindert. Nach § 361 Abs. 2 AO wird die Aussetzung auf Antrag gewährt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Sie unterscheidet sich vom Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO, der eine bereits begonnene Vollstreckung betrifft.
Wie wird die Aussetzung der Vollziehung berücksichtigt?
Die Aussetzung der Vollziehung ist ein wichtiges Instrument im Rechtsbehelfsverfahren gegen Steuerbescheide. Der Steuerpflichtige stellt zunächst einen Antrag bei der Finanzbehörde. Die Behörde prüft dann summarisch – nicht abschließend – ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Voraussetzungen für die Gewährung
Die Aussetzung wird gewährt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit zutage treten und die rechtliche Beurteilung oder tatsächliche Würdigung unsicher ist. Divergierende höchstrichterliche Entscheidungen sprechen regelmäßig für ernstliche Zweifel (§ 69 FGO); ein gesetzlicher Automatismus ist jedoch nicht vorgesehen – die Behörde muss die Voraussetzungen im Einzelfall prüfen.
Alternativ wird die Aussetzung gewährt, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Finanzbehörde übt hier pflichtgemäßes Ermessen nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen aus.
Sicherheitsleistung und Folgebescheide
Die Aussetzung der Vollziehung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Eine Sicherheitsleistung ist erforderlich, wenn die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen die Steuerforderung gefährdet erscheinen lässt. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheids ausgesetzt ist, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheids auszusetzen (§ 361 Abs. 3 Satz 1 AO). Die Aussetzung der Vollziehung eines Folgebescheids kann mit einer Sicherheitsleistung verbunden werden, es sei denn, bei der Aussetzung des Grundlagenbescheids wurde ausdrücklich von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abgesehen (§ 361 Abs. 3 Satz 3 AO).
Gerichtliche Anfechtung
Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde kann das Finanzgericht angerufen werden. Der Antrag auf gerichtliche Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag ganz oder zum Teil abgelehnt hat oder in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (§ 69 Abs. 4 FGO).
Praktische Beispiele
Beispiel 1: Ernstliche Zweifel durch divergierende Rechtsprechung
Ein Steuerpflichtiger erhält einen Einkommensteuerbescheid, in dem das Finanzamt eine Betriebsausgabe nicht anerkennt. Der Bundesfinanzhof hat zu dieser Frage bereits 2 unterschiedliche Entscheidungen getroffen. Der Steuerpflichtige stellt einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Da divergierende Rechtsprechung vorliegt, bestehen ernstliche Zweifel. Die Aussetzung wird gewährt.
| Situation | Ergebnis |
|---|---|
| Betriebsausgabe | 5.000 Euro |
| Streitiger Betrag | 5.000 Euro |
| BFH-Entscheidungen | Unterschiedlich |
| Aussetzung der Vollziehung | Gewährt |
Ergebnis: Der Steuerpflichtige muss die umstrittene Steuer nicht sofort zahlen, während der Rechtsstreit läuft.
Beispiel 2: Unbillige Härte durch wirtschaftliche Notlage
Ein Unternehmer erhält einen Gewerbesteuerbescheid in Höhe von 50.000 Euro. Das Unternehmen befindet sich in wirtschaftlicher Schwierigkeit. Der Unternehmer stellt einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Verweis auf unbillige Härte. Die Behörde prüft die wirtschaftliche Lage und gewährt die Aussetzung. Die Behörde bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen eine Sicherheitsleistung (in diesem Beispiel 25.000 Euro – die Höhe liegt im Ermessen der Behörde).
| Berechnung | Betrag |
|---|---|
| Gewerbesteuerbescheid | 50.000 Euro |
| Sicherheitsleistung (Ermessenssache) | 25.000 Euro (Beispiel) |
| Aussetzung der Vollziehung | Gewährt |
| Aussetzungszinsen pro Monat | 0,5 % (§ 237, § 238 AO) |
Ergebnis: Die Vollziehung wird ausgesetzt. Die Behörde kann eine Sicherheitsleistung anfordern, deren Höhe in ihrem pflichtgemäßen Ermessen liegt.
Ausnahmen und Besonderheiten
Bei vorläufigen Steuerfestsetzungen im Hinblick auf anhängige Musterverfahren kommt eine Aussetzung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 4 AO nur in Betracht, soweit die Finanzbehörden hierzu durch BMF-Schreiben oder gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder angewiesen worden sind. Das BMF-Schreiben vom 10.03.2025 regelt die Fälle, in denen eine Aussetzung der Vollziehung in Betracht kommt.
Die Aussetzung der Vollziehung eines Folgebescheids kann mit einer Sicherheitsleistung verbunden werden, sofern bei der Aussetzung des Grundlagenbescheids nicht ausdrücklich von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abgesehen wurde (§ 361 Abs. 3 Satz 3 AO). Die Entscheidung über die Sicherheitsleistung steht im Ermessen der Behörde.
Vorteile
summarische Prüfung: Die Behörde prüft nicht abschließend, sondern nur summarisch, was zu schnelleren Entscheidungen führt.
Rechtsschutz während Verfahren: Der Steuerpflichtige muss die Steuer nicht zahlen, während der Rechtsstreit läuft, und schützt seine Liquidität.
Divergierende Rechtsprechung: Bei unterschiedlichen Entscheidungen oberster Gerichte sprechen ernstliche Zweifel regelmäßig vor, ohne dass ein gesetzlicher Automatismus besteht.
Unbillige Härte: Steuerpflichtige in wirtschaftlicher Notlage können Schutz vor sofortiger Vollstreckung erhalten.
Folgebescheide automatisch: Wenn ein Grundlagenbescheid ausgesetzt ist, ist auch die Vollziehung von Folgebescheiden ausgesetzt.
Nachteile
Sicherheitsleistung möglich: Die Behörde kann eine Sicherheitsleistung anfordern (Ermessen), was Liquidität bindet, muss dies aber nicht zwingend tun.
Aussetzungszinsen: Wenn der Rechtsbehelf erfolglos bleibt, entstehen Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent pro Monat.
Behördliches Ermessen: Bei unbilliger Härte entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen, was zu Uneinheitlichkeit führen kann.
Gerichtliche Anfechtung erforderlich: Bei Ablehnung durch die Behörde muss das Finanzgericht angerufen werden, was zeit- und kostenaufwändig ist.
Regelfall: Antrag erforderlich: Die Aussetzung erfolgt regelmäßig auf Antrag; die Finanzbehörde kann die Vollziehung aber auch ohne Antrag aussetzen (§ 361 Abs. 2 S. 1 AO).
Fazit
Die Aussetzung der Vollziehung ist ein wichtiges Rechtsschutzinstrument für Steuerpflichtige, die gegen einen Verwaltungsakt vorgehen. Die Gewährung erfolgt auf Antrag, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen oder unbillige Härte vorliegt. Die summarische Prüfung ermöglicht schnelle Entscheidungen, während der Steuerpflichtige seine Liquidität schützt. Allerdings können Sicherheitsleistungen erforderlich werden, und bei Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs entstehen Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent pro Monat. Nutzen Sie dieses Instrument gezielt bei berechtigten Zweifeln an der Steuerfestsetzung und konsultieren Sie einen Steuerberater zur Antragstellung.
Häufige Fragen (FAQ)
Was ist der Unterschied zwischen Aussetzung der Vollziehung und Vollstreckungsaufschub?
Die Aussetzung der Vollziehung verhindert die Vollstreckung eines angefochtenen Verwaltungsakts, während der Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO eine bereits begonnene Vollstreckung betrifft. Die Aussetzung ist präventiv, der Aufschub ist reaktiv.
Wer muss den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen?
Der Steuerpflichtige oder sein Vertreter stellt den Antrag regelmäßig bei der Finanzbehörde (§ 361 Abs. 2 S. 1 AO: „soll auf Antrag"). Die Behörde kann die Vollziehung aber auch ohne Antrag aussetzen, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind.
Wann liegen ernstliche Zweifel vor?
Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit zutage treten. Divergierende höchstrichterliche Entscheidungen sprechen regelmäßig für ernstliche Zweifel (z.B. wenn 2 oberste Bundesgerichte unterschiedlich entschieden haben); ein gesetzlicher Automatismus besteht aber nicht – die Behörde muss im Einzelfall prüfen (§ 69 FGO).
Kann die Behörde eine Sicherheitsleistung verlangen?
Die Aussetzung der Vollziehung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, wenn die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen die Steuerforderung gefährdet erscheinen lässt. Die Entscheidung unterliegt pflichtgemäßem Ermessen.
Was passiert, wenn der Antrag abgelehnt wird?
Bei Ablehnung durch die Behörde kann der Steuerpflichtige das Finanzgericht anrufen. Das Gericht prüft die Entscheidung der Behörde nach § 69 FGO und kann die Aussetzung anordnen.
Entstehen Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung?
Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent pro Monat entstehen nur, wenn der Rechtsbehelf oder die Anfechtungsklage endgültig erfolglos bleibt (§ 237, § 238 Abs. 1 AO). Die Zinsen werden nach § 237 Abs. 2 AO ab dem Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde berechnet. Wird die Aussetzung erst später gewährt, beginnt der Zinslauf erst mit Wirksamwerden der Aussetzung. Hinweis: Die Aussetzungszinsen nach § 237 AO betragen weiterhin 0,5 % pro Monat. Die Zinssenkung auf 0,15 % pro Monat betrifft nur § 233a AO (Vollverzinsung) und gilt nicht für § 237 AO (Aussetzungszinsen).
Gilt die Aussetzung auch für Folgebescheide?
Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheids ausgesetzt ist, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheids auszusetzen. Die Aussetzung des Folgebescheids kann aber mit einer Sicherheitsleistung verbunden werden, sofern dies beim Grundlagenbescheid nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde.
Quellen & weiterführende Informationen
Bundesrepublik Deutschland. "Abgabenordnung (AO) § 361 – Aussetzung der Vollziehung." https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__361.html Zugriff am 5. November 2025. (Abs. 2 Antrag und Gründe; Abs. 3 Folgebescheide und Sicherheitsleistung)
Bundesrepublik Deutschland. "Finanzgerichtsordnung (FGO) § 69 – Aussetzung der Vollziehung im Finanzgerichtsverfahren." https://www.gesetze-im-internet.de/fgo/__69.html Zugriff am 5. November 2025. (Abs. 4 Zulässigkeit des Antrags nach Ablehnung oder ausbleibender Entscheidung)
Bundesrepublik Deutschland. "Abgabenordnung (AO) § 237 – Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung." https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__237.html Zugriff am 5. November 2025. (Zinslauf, Eintrittstatbestand für Aussetzungszinsen)
Bundesrepublik Deutschland. "Abgabenordnung (AO) § 238 – Höhe der Zinsen." https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__238.html Zugriff am 5. November 2025. (Abs. 1 Zinssatz 0,5 % pro Monat für § 237 AO; Unterscheidung zu § 233a AO)
Bundesrepublik Deutschland. "Abgabenordnung (AO) § 165 – Vorläufige Steuerfestsetzung." https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__165.html Zugriff am 5. November 2025. (Satz 4: Aussetzung der Steuerfestsetzung in BMF-angewiesenen Fällen)
Bundesfinanzministerium. "Vorläufige Steuerfestsetzung – Leibrenten und andere Fälle." https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerliche_Themengebiete/Rentenbesteuerung/2025-03-10-vorlaeufige-steuerfestsetzung.html Zugriff am 5. November 2025. (BMF-Schreiben vom 10.03.2025 zu Katalogfällen für § 165 AO)