Alles auf einen Blick:
- Das Einspruchsverfahren ist das erste kostenlose Rechtsmittel gegen Verwaltungsakte in Steuersachen (§§ 347–367 AO).
- Die Einspruchsfrist beträgt 1 Monat nach Bekanntgabe des angefochtenen Verwaltungsakts (§ 355 Abs. 1 AO).
- Die Finanzbehörde prüft den Fall in vollem Umfang neu (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO).
- Das Verfahren ist völlig kostenfrei und erfordert keine anwaltliche Vertretung.
- Bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung verlängert sich die Frist auf 1 Jahr (§ 356 Abs. 2 AO).
Einspruchsverfahren Definition
Das Einspruchsverfahren ist ein verwaltungsinternes Rechtsmittelverfahren, das es Steuerpflichtigen ermöglicht, gegen Verwaltungsakte in Steuersachen vorzugehen (§ 347 Abs. 1 AO). Es handelt sich um das erste kostenlose Rechtsmittel vor einer möglichen Klage beim Finanzgericht. Die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, prüft die Sache in vollem Umfang neu (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO).
Wie wird das Einspruchsverfahren durchgeführt?
Das Einspruchsverfahren verläuft in mehreren Schritten. Der Steuerpflichtige reicht einen schriftlichen oder elektronischen Einspruch bei der zuständigen Finanzbehörde ein (§ 357 Abs. 1 AO). Die Behörde prüft zunächst, ob der Einspruch zulässig ist, insbesondere ob er in der vorgeschriebenen Form und Frist eingereicht wurde (§ 358 AO). Anschließend erfolgt die inhaltliche Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts in vollem Umfang.
Einspruchsfrist und Bekanntgabe
Die Einspruchsfrist beträgt grundsätzlich 1 Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO). Bei Einspruch gegen eine Steueranmeldung beginnt die Frist mit Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde (§ 355 Abs. 1 S. 2 AO). Die Einspruchsfrist beginnt nur zu laufen, wenn der Steuerpflichtige schriftlich oder elektronisch über das Einspruchsrecht, die zuständige Behörde, deren Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt wurde (§ 356 Abs. 1 AO). Bei fehlender oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung kann der Einspruch innerhalb von 1 Jahr nach Bekanntgabe eingereicht werden (§ 356 Abs. 2 AO).
Ab 1. Januar 2025 gilt für die Zustellungsfiktion eine verlängerte Frist von 4 Tagen („vierten Tag") für postalisch versandte Verwaltungsakte (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO), elektronisch übermittelte Verwaltungsakte (§ 122 Abs. 2a AO) und zum Datenabruf bereitgestellte Verwaltungsakte (§ 122a Abs. 4 AO). Dies kann sich auf den Beginn der Einspruchsfrist auswirken.
Form und Inhalt des Einspruchs
Der Einspruch muss schriftlich oder elektronisch eingereicht oder zur Niederschrift erklärt werden (§ 357 Abs. 1 AO). Im Einspruch sollten der angefochtene Verwaltungsakt bezeichnet, angegeben werden, inwieweit er angefochten wird, die Tatsachen angeführt werden, die zur Begründung dienen, und die Beweismittel bezeichnet werden (§ 357 Abs. 3 AO). Eine unrichtige Bezeichnung des Einspruchs schadet nicht (§ 357 Abs. 1 S. 3 AO).
Zulässigkeit und Beschwer
Befugt, Einspruch einzulegen, ist nur, wer geltend macht, durch einen Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung beschwert zu sein (§ 350 AO). Ein Verwaltungsakt kann nicht allein deshalb angefochten werden, weil er einen unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt ändert (§ 351 Abs. 1 AO). Der Rechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen kann innerhalb der dem Rechtsvorgänger zustehenden Einspruchsfrist Einspruch einlegen (§ 353 AO).
Aussetzung der Vollziehung
Durch Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts nicht automatisch gehemmt (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen (§ 361 Abs. 2 Satz 1 AO). Sie soll die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO).
Rücknahme und Ruhenlassen
Der Einspruch kann bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch zurückgenommen werden (§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Finanzbehörde kann mit Zustimmung des Einspruchsführers das Verfahren ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint (§ 363 Abs. 2 Satz 1 AO). Ist beim Gerichtshof der Europäischen Union, beim Bundesverfassungsgericht oder bei einem obersten Bundesgericht ein Verfahren über die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder über eine Rechtsfrage anhängig und beruht der Einspruch auf dieser Norm oder Rechtsfrage, ruht das Einspruchsverfahren insoweit (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO). Das Einspruchsverfahren ist fortzusetzen, wenn der Einspruchsführer dies beantragt oder die Finanzbehörde dies dem Einspruchsführer mitteilt (§ 363 Abs. 2 Satz 4 AO).
Offenlegung und Mitwirkungspflicht
Den Beteiligten sind die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen offenzulegen (§ 364 AO). Die Finanzbehörde kann dem Einspruchsführer eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, die er als unberücksichtigt geblieben geltend macht, zur Erklärung über bestimmte aufklärungsbedürftige Punkte sowie zur Bezeichnung oder Beschaffung von Beweismitteln (§ 364b AO).
Praktische Beispiele
Beispiel 1: Einspruch gegen zu hohe Werbungskosten
Ein Arbeitnehmer erhält einen Steuerbescheid, in dem das Finanzamt seine geltend gemachten Werbungskosten von 2.500 Euro teilweise nicht anerkannt hat. Der Arbeitnehmer legt innerhalb von 1 Monat nach Bekanntgabe des Bescheids Einspruch ein und reicht zusätzliche Belege ein, die die Werbungskosten nachweisen.
| Berechnung | Betrag |
|---|---|
| Vom Finanzamt anerkannte Werbungskosten | 1.500 Euro |
| Zusätzlich eingereichte Werbungskosten | 1.000 Euro |
| = Insgesamt berechtigte Werbungskosten | 2.500 Euro |
| Ersparnis durch Einspruch | 280 Euro |
Ergebnis: Das Finanzamt überprüft die eingereichten Belege und erkennt weitere 1.000 Euro Werbungskosten an. Der Steuerpflichtige spart durch den erfolgreichen Einspruch etwa 280 Euro Steuern (bei 28 Prozent Steuersatz).
Beispiel 2: Einspruch gegen Ablehnung einer Sonderausgabe
Eine Steuerpflichtige hat Sparbeiträge zur Altersvorsorge geltend gemacht, die das Finanzamt zunächst abgelehnt hat. Sie legt Einspruch ein und weist nach, dass die Beiträge förderungsberechtigt sind. Das Finanzamt setzt daraufhin die Vollziehung aus und überprüft den Fall neu.
| Berechnung | Betrag |
|---|---|
| Geltend gemachte Altersvorsorgebeiträge | 3.000 Euro |
| Anerkannte Sonderausgaben vor Einspruch | 0 Euro |
| Nach Einspruch anerkannte Sonderausgaben | 3.000 Euro |
| Steuersparnis (bei 32 % Steuersatz) | 960 Euro |
Ergebnis: Der erfolgreiche Einspruch führt zur vollständigen Anerkennung der Altersvorsorgebeiträge. Die Steuerpflichtige spart 960 Euro Steuern.
Ausnahmen und Besonderheiten
Einspruch ist nicht statthaft gegen Einspruchsentscheidungen oder bei Nichtentscheidung über einen Einspruch (§ 348 Nr. 1, 2 AO). Gegen die Nichtentscheidung über einen Antrag ist der Einspruch dagegen statthaft (§ 347 Abs. 1 S. 2 AO). Ferner kein Einspruch gegen Verwaltungsakte der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder (außer wenn gesetzlich vorgeschrieben) sowie in den Fällen des § 172 Abs. 3 AO (§ 348 AO).
Wird der angefochtene Verwaltungsakt im Einspruchsverfahren geändert oder ersetzt, wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens (§ 365 Abs. 3 Satz 1 AO). Ein im Einspruchsverfahren ergangener Abhilfebescheid beendet das Einspruchsverfahren nur, wenn er dem Begehren des Steuerpflichtigen in vollem Umfang entspricht (§ 367 Abs. 2 Satz 3 AO). Bei teilweiser Abhilfe bleibt der Einspruch anhängig (§ 365 Abs. 3 AO).
Aufgrund der umfassenden Überprüfungsmöglichkeit im Einspruchsverfahren ist die Finanzbehörde nicht an die Voraussetzungen der Korrekturvorschriften gebunden (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Will die Finanzbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers ändern, muss sie ihn auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung mit Begründung hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO).
Durch das Jahressteuergesetz 2024 vom 2. Dezember 2024 wurde § 87a Absatz 1 AO um eine Zugangsbeschränkung für die Übermittlung elektronischer Nachrichten und Dokumente an Finanzbehörden ergänzt (in Kraft seit 6. Dezember 2024).
Vorteile
kostenlose Rechtsverfolgung: Das Einspruchsverfahren ist völlig kostenfrei. Es entstehen keine Gebühren oder Auslagen, auch wenn der Einspruch erfolgreich ist.
umfassende Überprüfung: Die Finanzbehörde prüft die Sache in vollem Umfang neu und ist nicht an ihre ursprüngliche Entscheidung gebunden (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO).
keine anwaltliche Vertretung erforderlich: Der Steuerpflichtige kann den Einspruch selbst einreichen und vertreten. Eine Beauftragung eines Steuerberaters oder Anwalts ist nicht zwingend erforderlich.
aussetzung der Vollziehung möglich: Die Finanzbehörde kann die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen (§ 361 Abs. 2 AO).
verlängerte Frist bei Fehler: Bei fehlender oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung beträgt die Einspruchsfrist 1 Jahr statt 1 Monat (§ 356 Abs. 2 AO).
Nachteile
automatische Vollziehung: Durch Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts nicht automatisch gehemmt (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Steuerpflichtige muss ggf. die Aussetzung beantragen.
kurze Einspruchsfrist: Die Frist für die Einspruchseinlegung beträgt nur 1 Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 355 Abs. 1 AO). Eine Überschreitung führt zur Unzulässigkeit des Einspruchs.
begrenzte Überprüfung bei bestimmten Fällen: Gegen Nichtentscheidung über einen Einspruch ist kein Einspruch statthaft; gegen Nichtentscheidung über Anträge jedoch schon (§ 347 Abs. 1 S. 2, § 348 AO).
reformatio in peius möglich: Die Finanzbehörde kann den Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers ändern, muss ihn aber vorher hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO).
längere Bearbeitungsdauer: Das Einspruchsverfahren kann mehrere Monate dauern, bis eine Entscheidung ergeht. Dies verzögert die endgültige Klärung des Sachverhalts.
Fazit
Das Einspruchsverfahren ist ein essentielles und kostenloses Rechtsmittel für Steuerpflichtige, um gegen fehlerhafte oder ungerechtfertigte Verwaltungsakte vorzugehen. Die Finanzbehörde prüft die Sache in vollem Umfang neu, ohne an ihre ursprüngliche Entscheidung gebunden zu sein. Mit einer Einspruchsfrist von 1 Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts müssen Steuerpflichtige schnell handeln. Nutzen Sie die Möglichkeit, Einspruch einzulegen, wenn Sie einen Bescheid für fehlerhaft halten, und reichen Sie alle erforderlichen Belege und Begründungen ein. Bei Bedarf können Sie sich von einem Steuerberater oder Anwalt unterstützen lassen, um Ihre Chancen auf Erfolg zu erhöhen.
Häufige Fragen (FAQ)
Wie lange beträgt die Einspruchsfrist?
Die Einspruchsfrist beträgt grundsätzlich 1 Monat nach Bekanntgabe des angefochtenen Verwaltungsakts (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO). Bei fehlender oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung verlängert sich die Frist auf 1 Jahr nach Bekanntgabe (§ 356 Abs. 2 AO).
Kann ich den Einspruch schriftlich einreichen?
Der Einspruch kann schriftlich oder elektronisch eingereicht oder zur Niederschrift erklärt werden (§ 357 Abs. 1 AO). Eine schriftliche Einreichung ist jederzeit möglich und wird von den Finanzbehörden akzeptiert.
Wird die Vollziehung des Steuerbescheids durch den Einspruch gehemmt?
Durch Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts nicht automatisch gehemmt (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Steuerpflichtige kann die Aussetzung der Vollziehung beantragen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen.
Kann ich einen Einspruch gegen einen Einspruchsbescheid einlegen?
Ein Einspruch gegen Einspruchsentscheidungen ist nicht statthaft (§ 348 AO). Nach einer Einspruchsentscheidung kann der Steuerpflichtige nur noch Klage beim Finanzgericht erheben.
Benötige ich einen Steuerberater für das Einspruchsverfahren?
Ein Steuerberater oder Anwalt ist nicht zwingend erforderlich. Der Steuerpflichtige kann den Einspruch selbst einreichen und vertreten. Allerdings kann professionelle Unterstützung die Chancen auf einen erfolgreichen Ausgang erhöhen.
Kann das Finanzamt meinen Steuerbescheid durch den Einspruch verschärfen?
Ja, die Finanzbehörde kann den Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers ändern (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO). Sie muss den Steuerpflichtigen aber vorher hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Wie lange dauert ein Einspruchsverfahren?
Die Bearbeitungsdauer eines Einspruchsverfahrens ist nicht gesetzlich festgelegt. Je nach Komplexität und Auslastung der Behörde kann das Verfahren mehrere Monate dauern, bis eine Entscheidung ergeht.
Quellen & weiterführende Informationen
Bundesministerium der Finanzen. "Abgabenordnung (AO)." https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/ Zugriff am 23. Januar 2025.
Bundesministerium der Finanzen. "Jahressteuergesetz 2024 – Änderungen der AO." https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Weitere_Steuerthemen/Abgabenordnung/AO-Anwendungserlass/2024-12-10-aenderung-aeao-jstg2024.html Zugriff am 23. Januar 2025.
Bundesfinanzhof. "Einspruchsverfahren – Rechtsprechung." https://www.bundesfinanzhof.de/ Zugriff am 23. Januar 2025.
Bundeszentralamt für Steuern. "Einspruchsverfahren in Steuersachen." https://www.bzst.bund.de/ Zugriff am 23. Januar 2025.